ERP meets lean: Schlanke Strukturen im ERP-System abbilden
Ingo Laqua
Dass schlanke Strukturen notwendig sind, haben die meisten Unternehmen erkannt und diese auch, zumindest ansatzweise, umgesetzt. Verschwendung wird dabei insbesondere in der Produktion durch kurze Durchlaufzeiten, niedrige Bestände und effizienten Ressourceneinsatz weitestgehend vermieden. Als Hilfsmittel dienen Tools der marktsynchronen Produktion, wie bspw. das Pull-Prinzip, KANBAN-Regelkreise oder FIFO. Doch wie vertragen die sich mit dem ERP-Systemen?
Ziele definieren
Bevor man aber über die Abbildung schlanker
Prozesse in der ERP philosophiert, muss ein
klares Bild vorhanden sein, welche Ziele überhaupt
damit verfolgt werden. Einen KANBANRegelkreis
führt man bspw. nicht ein, weil der
ERP-Anbieter diesen gerade in seinem neuen
Release anpreist, sondern weil sich hieraus
bspw. Reaktionszeiten verringern oder Bestände
reduzieren.
Der Formulierung, welche Ziele mit der Umstellung
der Prozesse erreicht werden sollen,
ist auch deshalb von zentraler Bedeutung, weil
hierdurch definiert wird, wie bestimmte Parameter
in der ERP einzustellen sind. Eine marktsynchrone
Produktion bspw. bedingt Materialverfügbarkeit.
Deswegen ist es erforderlich,
Sekundärbedarfe mit langer Wiederbeschaffungszeit
frühzeitig auszulösen, ohne die Fertigung
mit zu vielen Aufträgen zu überfrachten.
Dies lässt sich bspw. in SAP durch die "Strategiegruppe
51" im Artikelstamm realisieren.
Ein weiteres Beispiel ist das Ziel, Bestände und
Liegezeiten in der auftragsbezogenen Produktion
zu vermeiden, wenn Teile oder Baugruppen
aus unterschiedlichen Fertigungsbereichen,
zeitgleich, bspw. für eine Montage,
bereitzustellen sind. Hier lässt sich sinnvoller
Weise ein Auftragsnetz verwenden, das eine Synchronisation der einzelnen Fertigungsaufträge
erlaubt und sicherstellt, dass alle benötigten
Teile zur richtigen Zeit zur Verfügung
stehen.
Prozess verstehen
Manchmal macht es aber auch Sinn, einen neu
zu implementierenden Prozess erst einmal mit
"Trockenübungen" zu lernen. Hier gilt KANBAN
als Paradebeispiel. Wer KANBAN schon
einmal gehört aber den Prozess noch nie angewandt
hat, sollte sich gut überlegen, direkt
im ersten Schritt Produktversorgungsbereiche
im eKANBAN-Modul von SAP anzulegen. Für
Fortgeschrittene sind solche Module sicher
geeignet, insbesondere wenn bspw. Funktionalitäten
wie RFID-Anbindung oder die plandisponierte
Steuerung zukünftiger Aufträge
(an Stelle einer Vergangenheitsbetrachtung)
genutzt werden sollen.
Unternehmen, die diese Art der Materialsteuerung erst erlernen, sind i.d.R. mit der "manuellen Methode" besser bedient. Dieser Ansatz macht sich die vorhandene Grundfunktionalität eines ERP-Systems zu Nutzen, in dem ein großer Fertigungsauftrag von der Fertigungssteuerung ausgelöst wird, auf dem sukzessive einzelne Produktionslose zurückgebucht werden. Die Steuerung, wann welche Menge zu fertigen ist, erfolgt dann nach dem klassischen KANBAN-Behälterprinzip (Behälter leer = Auftrag zur Nachfertigung). Bestände (= Anzahl Behälter) und Losgrößen werden im Vorfeld auf Basis von Wiederbeschaffungszeiten und Variantenvielfalt fest definiert. Sind alle Mengen auf den Auftrag gebucht, wird einfach ein neuer angelegt. Wer diesen Prozess erst einmal beherrscht, wird ihn wahrscheinlich auch aufgrund seiner Einfachheit kaum wieder aufgeben.
Konsequent umsetzen
In der Praxis stößt man aber häufig auch auf
Probleme, die trotz aller Einfachheit im Vorfeld
zu lösen sind. Da ist bspw. die Frage, wie kompromissbereit
das Controlling ist, wenn einer
oder mehrere Fertigungsaufträge über mehrere
Monate geöffnet bleiben.
Oder wie geht das Controlling damit um,
wenn in einem KANBAN-Regelkreis lediglich
über die Fertigmeldung eine retrograde Materialentnahme
gebucht wird und somit nicht
jederzeit ersichtlich ist, welche WIP-Bestände
in der Produktion sind. Am besten passt hier
noch die Antwort, die Robin Tannenberg von
Rolls Royce Deutschland im Rahmen eines Arbeitskreises
von CIM Aachen auf diese Frage
gab: "Wir haben die Durchlaufzeit in diesem
Segment auf zwei Tage reduziert. Damit ist
doch offensichtlich, dass bei Einsatz von FIFO
und one-piece-flow der WIP-Bestand maximal
zwei Tage betragen kann."
Kurz: Irgendetwas ist immer. Schlanke Strukturen lassen sich bis auf wenige Ausnahmen in nahezu allen ERP-Systemen umsetzen. Viel schwieriger ist es i.d.R. die Mitarbeiter mit auf die Reise zu nehmen. Aber das ist ein ganz anderes Thema.