Einsatzgebiete von ERP-, APS- und MES-Lösungen
Dr. Götz Marczinski, Geschäftsführer, CIM Aachen GmbH
Der Begriff ERP ist in erster Linie eine Präzisierung des aus dem MRP (material requirements planning) hervorgegangenen PPS-Begriffs. Es ging Ende der 90ziger Jahre einerseits darum klarzustellen, dass im Industriebetrieb neben dem Material auch die Ressourcen "Mensch", und "Maschine" sowie die Kapitalflüsse zu beplanen sind. Andererseits sollte verdeutlicht werden, dass nicht jeder Industriebtrieb notwendigerweise über eine Produktion verfügt. Tatsächlich sind im Zuge dieser Betrachtung fast alle ehemals als "PPS" bezeichneten Systeme zum ERP-System geworden.
Advanced heißt vor allem fortschrittlich gegenüber der klassischen PPS in zwei wesentlichen Aspekten.
Erstens hebt es die Einbahnstrasse der Stücklistenauflösung auf, weil man die Beziehung von Baugruppen auf Teile und
Kundenaufträge zurückverfolgen kann. Weil das APS-System sowohl "weiß", welches Teil in der Montage gebraucht wird, als
auch welches Teil ggf. am nächsten Arbeitsschritt ohnehin "hängen bleiben" würde, wird es eine Reihenfolge vorschlagen,
die den Durchsatz durch die Fabrik insgesamt optimiert.
Zweitens wird die Auftragseinlastung unter Berücksichtigung der aktuellen Kapazität und der Materialverfügbarkeit durchgeführt.
Dabei arbeitet das APS mehrdimensional, d.h. Kapazität bezieht sich auf Personal und Maschinen, Material umfasst ggf. auch Werkzeuge
und Vorrichtungen. Diese Fähigkeiten werden gebraucht, um
- nur materialversorgte Aufträge in die Fertigung zu lassen
- die Auswirkungen von Umplanungen abzuschätzen und
- eine Reihenfolgeplanung zu ermöglichen, ggf. mit Kampagnenbildung.
Eine Frage des Horizonts
Mit dieser Fähigkeit ermöglichen APS-Systeme in verkürzten Planungshorizonten zu arbeiten.
Während mit ERP bzw. PPS-Systemen in der operativen Planung üblicherweise mit Horizonten von mehreren Wochen geplant wird,
werden mit APS-Systemen Arbeitsvorräte für wenige Tage erzeugt.
Um innerhalb eines Tages bzw. innerhalb einer Schicht auf Planabweichungen reagieren zu können braucht man das,
was früher Fertigungsleitstand und heute MES heißt. Damit kann kurzfristig eingegriffen werden, beispielsweise
um einen Auftrag auf eine Alternativmaschine zu verlagern. Oder es können kurzfristig zusätzliche Arbeitsgänge,
beispielsweise für Nacharbeit eingeplant werden.
Im "Sandwich" der Planungsebenen wird schnell klar, dass ein APS-System nicht ohne übergeordnete ERP/PPS auskommt. Denn sowohl die Kundenaufträge als auch die Stammdaten und Arbeitspläne werden von dort übernommen. Als datenführendes System ist APS nicht geeignet. Das gleiche gilt für MES-Systeme. Zwar besteht in manchen MES die Möglichkeit, Arbeitspläne oder beispielsweise Maschinenstammdaten zu pflegen, es ist aber aufgrund der Redundanzen nicht empfehlenswert. Zwar kann ein MES ohne PPS "leben", es macht aber wenig Sinn. Auf den Punkt gebracht:
- PPS muss
- APS kann
- MES unterstützt
Die Rolle von MES
Es ist offensichtlich, dass je detaillierter die Planungsebene ist, desto höher sind die Anforderungen an die Datenbasis.
Für einen Planungshorizont von mehreren Wochen reicht die "grobe Hausnummer" der eingelasteten Bedarfe gegen Kapazitäten
in Personen- bzw. Maschinenstunden.
Auf kürzere Sicht müssen Kapazitäten detaillierter abgebildet werden, vor allem aktuell die jeweilige Situation.
Die Reaktionsgeschwindigkeit ist im APS deswegen durch die Rückmeldezyklen definiert. Änderungen in der Kapazitäts- oder
Auslastungssituation müssen dem System bekannt sein, um den Arbeitsvorrat realitätsnah anzupassen. In der Praxis sind deswegen
Umplanungen höchstens einmal pro Tag sinnvoll.
Hier kommt die BDE/MDE ins Bild, und die gehört heute zum MES. Wenn der aktuelle Bearbeitungsstand und die verfügbaren
Kapazitäten bekannt sind, dann kann auch innerhalb einer Schicht reagiert werden. Allerdings muss dazu das APS an die BDE/MDE
gekoppelt sein, und die erfassten Signale in ein entsprechendes Planungsbild übersetzt werden. Realistisch ist das vor allem bei
integrierten Systemen, d.h. ein MES das über ein eigenes Planungsmodul verfügt, und das hieß früher Leitstand.
Das Zusammenspiel von ERP zu PPS über APS zum MES kann man sich also wie folgt vorstellen. Das ERP ist das datenführende
System und erzeugt (mit dem PPS Modul) unter anderem Materialbedarfe. Im Weiteren werden die Bedarfe immer feiner detailliert und
ebenso feiner gegliederten Kapazitäten zugeordnet. Dabei werden die begrenzenden Ressourcen ab dem APS mit berücksichtigt,
allerdings nur so gut wie sie im datenführenden System abgebildet sind. Die wesentlichen Planungsparameter bekommt das APS also
letztlich aus dem ERP. Die Ist-Daten und Rückmeldungen kommen aus dem MES. Diese werden je nach Systemkonfiguration direkt im APS
verarbeitet, oder die Daten werden zur Aktualisierung von Stammdaten im ERP genutzt.
Mit dem MES besteht die Möglichkeit, u.a. folgende Fragen zu Produktivitätsreserven zu klären:
- Wie dicht an der Realität sind die im ERP/PPS hinterlegten Zeiten?
- Wie dicht an der Realität sind die kalkulierten Verfügbarkeiten und übergangszeiten?
Denn nicht beeinflussbare Maschinendaten sollen Schätzungen, Durchschnittswerte und Kompromissformeln ersetzen, das ist der Ansatz. In der klassischen Fertigung sind Zeitermittlungen und damit Arbeits- und Rüstpläne auch vor dem Hintergrund des Personaleinsatzes gemacht worden. Entlohnungsfragen stehen dabei im Vordergrund. Die Optimierung des Fabrikoutputs ist damit in den meisten Fällen nicht zu erreichen.
Wann ist welches System sinnvoll?
Dass heutzutage ein ERP-System unabdingbar ist, kann getrost als Fixpunkt gesehen werden. Und dazu gehört auch ein PPS-Modul, das
mindestens die Bedarfe über alle Stücklistenstufen erzeugt.
Fall A: Hierunter fallen die Unternehmen denen es gelingt, die eigene Produktion in selbststeuernden Regelkreisen zu organisieren
und im Kundentakt zu produzieren. Nachfrageschwankungen lassen sich über ein "verträgliches" Bestandsniveau auf die
Fertigungsflexibilität nivellieren. Kennzeichen dieser Unternehmen sind:
- Seriencharakter in der Fertigung
- Verlässliche Lieferanten
- Stabile Prozesse
- Volumen- und Variantenflexible Fertigung
Für diese Fälle reicht eine funktionierende PPS als Rahmen für eine schlanke Produktionssystematik aus.
Im übrigen können mit den Methoden des Visual Management passend dimensionierte KAMBAM-Kreise gesteuert werden.
Zu hinterfragen ist in jedem Fall, ob die Dispositionsparameter im System zielführend eingestellt sind. Ein einfacher Test besteht
darin, die benutzten Losgrößenverfahren zu prüfen. Wenn die Durchlaufzeit bei der Berechnung nicht vorkommt, dann ist das
PPS nicht für die schlanke Produktion eingestellt. Als Variante des Fall A sind auch die Unternehmen zu sehen, deren Produktion praktisch
am Engpass durchgetaktet werden kann. Der Engpass ist dann die losgrößenbestimmende Kapazitätseinheit.
Komplizierter wird es, wenn der Durchsatz am Engpass von weiteren Parametern abhängt. Ein Beispiel dazu ist die Durchsatzoptimierung
bei der Wärmebehandlung, wo zwischen den Polen "kürzeste Durchlaufzeit" und "maximale Ofenauslastung" (Füllgrad, Energieeinsatz)
ein sinnvoller Kompromiss (Arbeitssvorrat vor dem Engpass) gesucht werden muss.
Fall B: Viele Betriebe haben wandernde Engpässe. Aus unterschiedlichen Gründen werden unterschiedliche Kapazitätseinheiten
zum Engpass. Ursächlich dafür können sein:
- Breites Sortiment mit saisonalen Schwerpunkten
- Mächtige Lieferanten "teilen" Material zu
- Punktuelles Projektgeschäft "blockiert" Anlagen
- Instabile Prozesse
- Ausgangsmaterial schwankt
- Personenabhängige Tätigkeiten
- stark schwankende Ausbeute
- "unberechenbare" Auswärtsbearbeitung
Diese Unsicherheiten lassen sich in der Praxis meist schon deswegen nicht über Bestände abpuffern, weil die Gefahr der obsoleten
Bestände zu groß ist. Es stellt sich also täglich das Problem, welche Aufträge in welcher Reihenfolge zu bearbeiten sind.
In diesen Fällen ist ein APS-System eine große Hilfe. Weil die Arbeitsvorräte an den einzelnen Kapazitätsgruppen stets
im Zusammenhang der gesamten Prozesskette im Blick sind, kann schnell auf veränderte Randbedingungen reagiert werden. An erster Stelle
stehen verlässliche Terminzusagen. In der Praxis wird dabei häufig mit sog. Lieferserviceklassen gearbeitet, auf die die
Arbeitssvorräte (gemessen in Arbeitstagen) an den Maschinen abgestimmt sind. Die Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Fertigung
entscheiden über die Größe des Arbeitsvorrats. Je flexibler, desto kleiner kann der Arbeitsvorrat sein. Zur Flexibilität
gehört auch, dass es für einzelne Bearbeitungsvorgänge Alternativen gibt. In welchem Zeitfenster hier Entscheidungen notwendig
sind, ist ein Kriterium für oder wider MES.
Fall C: Wenn eine Vielzahl dezentraler Entscheidungen zu treffen ist, dann ist auch bei Stücklistenprozessen ein MES in Ergänzung
der PPS sinnvoll. Je dichter die Betriebsorganisation an einer Werkstättenfertigung ist, desto wahrscheinlicher ist das der Fall.
- Arbeitsvorräte sind relativ groß (z.B. Wochenprogramme)
- Bearbeitungs- und Rüstvorgänge müssen abhängig vom verfügbaren Personal synchronisiert werden
- Stützfunktionen sind zu steuern (Betriebsmittel bereitstellen, QS Zyklen steuern, ...)
- Personalflexibilität ist sehr gering
Mit dem stets aktuellen Überblick über die Belastung einzelner Maschinen und über die Verfügbarkeit bestimmter Personalqualifikationen kann ein MES die Prozesse auf der Werkstattebene wirksam unterstützen. Ob die Arbeitsvorräte dabei von einem APS-System erzeugt wurden, oder ein entsprechendes Planungsmodul des MES diese erzeugt, ist dabei unerheblich. Das MES hilft also, die aufgrund der geringen Flexibilität relativ großen Arbeitsvorräte auch tatsächlich durchzusetzen. Verfügbarkeiten werden überwacht und auf Engpässe kann dezentral reagiert werden. Die Auskunftsfähigkeit ist sichergestellt.
erschienen in ERP Management, Dezember 2008