ISO 9000:2000 - Was bedeutet das in der Praxis?
Ingo Laqua
Im Januar ist der Entwurf der ISO Norm 9000:2000 vorgestellt worden, der keine großen Veränderungen zur endgültigen Norm mehr erwarten läßt. Die dann gültige Prozeßorientierung bietet Unternehmen die Chance, die bisherigen Formalismen über Bord zu werfen und die tatsächlichen Geschäftsprozesse zu dokumentieren.
Betroffen davon sind zum einen die Unternehmen, die bereits nach der bisherigen, elementorientierten Norm zertifiziert sind und zum anderen die Firmen, die sich erstmalig zertifizieren lassen wollen.
Für erstere gilt, daß sie sich nach einer Übergangsfrist nach der neuen Norm zertifizieren lassen müssen. Bis zu diesem Zeitpunkt jedoch kann ein QM-System nach der bisherigen Norm weiterbestehen. Ab wann die Übergangsfrist nun läuft, steht bisher nicht fest. Wahrscheinlich kann die Umstellung während eines routinemäßigen Erhaltungsaudits durchgeführt werden. Hierzu muß jedoch die verabschiedete Norm abgewartet; ggf. ist auch eine Rücksprache mit dem Zertifizierer erforderlich.
Auch für Erstzertifizierer gilt, daß sie sich im Moment noch nach der bisher gültigen Norm zertifizieren lassen müssen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß ihr QM-System nicht schon alle zu diesem Zeitpunkt bekannten Forderungen der Norm 9000:2000 erfüllen kann. Einerseits wird sich die verabschiedete Norm nur sehr unwesentlich von dem vorgestellten Entwurf unterscheiden. Andererseits ist die Norm in der neuen Fassung wesentlich umfassender und an einigen Stellen konkreter als die bisher gültige Norm. Mit anderen Worten: Erfüllt ein Unternehmen die neue Norm, so erfüllt es auch die bisherige.
Neben den formellen Fragen über Gültigkeit stellt sich immer noch die Frage nach den Auswirkungen und der Umsetzung der Norm in der täglichen Arbeit. Hierbei hilft ein Diagramm (Bild 1), das die Schwerpunkte der Norm anschaulich darstellt. Gleichzeitig werden die Schwerpunkte in der Gliederung der Norm wieder aufgenommen und dort systematisch behandelt:
- Verantwortung der Leitung
- Management der Mittel
- Realisierung des Produktes
- Messung, Analyse, Verbesserung
Das Diagramm zeigt die Regelkreise auf, die zur Steuerung des QM-Systems notwendig sind. Das innere Oval symbolisiert das QM-System als Regelkreis der Organisation. Der wichtigere Regelkreis geht über die Organisation hinaus und schließt Kunden und interessierte Parteien mit ein, welche vom Management als Zielgruppe für Leistungen der Organisation festgelegt werden.
Der untere durchgezogene Pfeil stellt die Wertschöpfungskette von den Kundenanforderungen bis zur Leistungserstellung dar. Sie beinhaltet nicht Rückmeldungen über die Kundenzufriedenheit. Diese wird in einem getrennten Prozeß erfaßt und findet direkt über den Prozeß „Messung, Analyse, Verbesserung“ Eingang in den internen Regelkreis der Organisation.
Die vorgestellten Prozesse bilden somit den Kern der neuen Norm. Für das QM-System bedeutet dies, daß die vorgestellten Prozesse und Regelkreise zertifizierbar abgebildet und dokumentiert werden müssen. Jedoch das „Wie“ bleibt den Unternehmen weitgehend zur freien Gestaltung selbst überlassen.
Diese Freiheit ermöglicht unterschiedliche Ansätze für die Einführung eines QM-Systems. Wie die Erfahrung der CIM GmbH zeigt, eignet sich ein prozeßorientiertes Vorgehen am besten. Hierbei werden zuerst die Kernprozesse der Leistungserstellung skizziert und jeweils die Nahtstellen zu anderen Kern- oder Befähigerprozessen definiert. Gleichzeitig müssen die „Verfahren der Leitung“ (Strategiefindung bzw. -umsetzung, Unternehmensleitung, –lenkung, und –überwachung) festgelegt und ihre Umsetzung auf den unteren Ebenen bestimmt werden (Bild 2, Top-Down-Ansatz). Arbeits-, Wartungsanweisungen und sonstige Dokumente können parallel dazu erstellt werden, da sie nicht prozeßabhängig sind (Bottom-Up-Ansatz). Das parallele Vorgehen spart zwar einige Zeit, erfordert jedoch einen erhöhten Aufwand für das Projektcontrolling an den Nahtstellen der Ansätze. Stehen die Grobabläufe, kann mit der Feindokumentation begonnen werden.
Mit ihrer prozeßorientierten Ausrichtung schafft die neue Norm endlich das, worüber sich die Kritiker der bisherigen Elementorientierung über ein Jahrzehnt beklagt haben: Den Bezug zur industriellen Praxis. Vorbei ist die Zeit, in der bestimmte Elemente derart „verbiegen“ mußte, daß diese auf das eigene Unternehmen passen. Die Aussage: Wir zertifizieren uns, weil wir besser werden und nicht weil wir ein Zertifikat haben wollen, bekommt somit eine neue Dimension. Verbunden ist damit aber in vielen Fällen, die häufig unangenehme Fra-gestellung nach der Reorganisation der bisherigen Geschäftsprozesse.
Als Fazit bleibt: Wer tatsächlich besser werden will, hat mit der neuen Norm die Möglichkeit, noch einmal von vorne anzufangen und nicht nur das Bestehende zu dokumentieren. Mit dem „Darüber nachdenken“, wie man Prozesse schneller und effizienter gestalten kann, oder was best-in-class ist, tun sich aber viele Unternehmen schwer. Die Sicht von außen ist dabei an dieser Stelle häufig sehr hilfreich, um alte Zwänge über Bord zu werfen und sich gegenüber dem Wettbewerb neu aufzustellen.
erschienen in CIMAktuell, November 2000