Neue Strukturen, neue Prozesse - neues ERP ?

Autor Dipl-Wirt. Ing. Mattias Ahlke ist Projektingenieur bei der CIM GmbH in Aachen

Welche Funktionalitäten eines Enterprise Resource Planning (ERP)-Systems braucht ein Unternehmen wirklich und welches System verspricht auch beim Blick in die Zukunft die größten Vorteile? Am drängendsten werden diese Fragen, wenn sich die Firmenstrukturen ändern oder sich der Branchenfokus verschiebt.

Wachstums- und Internationalisierungs-Aktivitäten, entweder aus eigenem Antrieb oder durch Marktzwänge seitens der Kunden initiiert, führen gerade im Mittelstand zu tiefgreifenden Umstrukturierungen. Auf der organisatorischen Seite sind Mehrwerkstrukturen die logische Reaktion auf veränderte Märkte. Die Rolle eines Produktionswerkes – verlängerte Werkbank oder eigenständiges Werk – hat erhebliche Auswirkungen auf die Auftragsabwicklungs-Systematik. So ist zum Beispiel zur werksübergreifenden Darstellung und Bearbeitung von Stücklisten und Arbeitsplänen oder für werksübergreifende Nummern-Instanzen ein ausgereiftes Mandatenkonzept erforderlich. Die aktuell eingesetzten Systeme zur Abwicklung der Geschäftsprozesse erfüllen die funktionellen Anforderungen, so dass Untemehmen ohne Leidensdruck mit Altsystemen arbeiten. Doch auf der Prozessseite tut sich einiges. Nicht nur die Automobil- und Zulieferindustrie ist zunehmend von komplexen Auftragsabwicklungs- und Logistikprozessen geprägt. Zielrichtung ist in allen Unternehmen die Schaffung von Transparenz durch Daten- und Prozessintegration über die gesamte Lieferkette. Damit werden Schnittstellen reduziert, die Kommunikation beschleunigt und schnellere Reaktionen auf Bedarfsschwankungen und Lieferengpässe ermöglicht.

Automotive-Prozesse
Die Prozessketten sind firmenübergreifend vernetzt und zeichnen sich durch einen hohen Automationsgrad aus. Dreh- und Angelpunkt sind EDI-Funktionalitäten. Zu lösen sind rein technische Aspekte wie Synchronisation der Datenformate, Übertragungsprotokolle und Netzwerke. Hinzu kommt die Bedienung unterschiedlicher OEM-Standards und sogar die Abbildung ganzer Supply Chain Konzepte wie Vendor Managed Inventory (VMI). Zunächst müssen sich die Unternehmen also mit der veränderten Systematik beschäftigen. Im zweiten Schritt müssen sie sich fragen, ob nicht ein auf die Automotive-typische Systematik optimiertes System langfristig die bessere Lösung ist.

Was bietet der Markt?
Tendenziell geht die Entwicklung tatsächlich in die richtige Richtung. Herstellerübergreifende Datenformate gehören bereits zum Standard; Webbasierte und flexible Systemarchitekturen sowie Einzelfeatures wie RFID-Unterstützung werden weiterentwickelt. Ein “echtes“ Neuprodukt auf der Basis idealer Geschäftsprozesse bieten jedoch nur wenige Softwarehäuser an, unter anderem aufgrund gebundener Ressourcen beim Altsystem-Support. Es ergeben sich zwei Schwierigkeiten bei der Entscheidung für eine zukunftsweisende Business-Software.

  1. Dynamische Marktentwicklung: Wer setzt voll auf Wachstum, welche Klein- oder Spezialanbieter werden sich behaupten? Die Konsolidierung ist in vollem Gange. Oracle und Infor sind prominente Beispiele für eine offensive Wachstumsstrategie. Ein Grund dafür liegt im hohen Investitionsbedarf für die Software-Weiterentwicklung, kleineren Anbietern fehlen dazu schlicht die Mittel. Gleichzeitig wächst die Bedeutung von Systempartnern, die die Lösungen großer Anbieter branchenspezifisch optimieren.
  2. Unsichere Produkt-Strategie: Die großen Systemanbieter wie SAP, Oracle und Infor schlagen den Weg der Komplettlösung nach dem Motto “alles aus einer Hand“ mit zugekauften Drittlösungen ein. Beispiele sind hier Infor (Financials-Lösung von Varial) und Sage mit PPS-Kompetenz von Bäurer. Auf der anderen Seite entwickeln Spezialanbieter ihre Systeme stetig weiter, so zum Beispiel Adicom vom reinen Leitstands-Tool zur Gesamtlösung für die Ausführungsebene.

Offen bleibt die Frage, ob sich auch solche Systemanbieter irgendwann mit einer Auftragsabwicklungs-Systematik in der PPS/ERP-Ebene positionieren werden, Zumindest werden sie aber ihre Alleinstellungsmerkmale wie innovative Planungsalgorithmen, Integ- rations- und Echtzeitfähigkeit oder gute Bedienbarkeit weiterentwickeln, so dass im Einzelfall die “Best of Breed“-Strategie eine echte Alternative sein kann.

Worauf kommt es an?
Am Anfang steht die Unternehmensstrategie, die sich unmittelbar auf die IT-Strategie auswirkt: Wachstumsorientierung erfordert ein flexibles, skalierbares System. Marktfokussierung auf das Seriengeschäft erfordert die größtmögliche Automatisierung der Auftragsabwicklung. Ein dezentrales Organisationskonzept erfordert Mehrmandantenfähigkeit und vieles mehr. Klarheit in diesen Punkten bringt bereits eine deutliche Einschränkung der in Frage kommenden Systeme. Die Auswahlkriterien (Zukunftssicherheit, Plattform, Ergonomie etc.) sind fast überall die gleichen. Bei der Priorisierung der Kriterien und individuellen Spezialanforderungen gibt es erfahrungsgemäß deutliche Unterschiede. Eine geplante Veränderung der IT- Landschaft sollte gleichzeitig zur Optimierung der Unternehmensprozesse genutzt werden. Zunächst steht eine Überprüfung der Systematik, sprich der bewährten Abläufe, auf Optimierungspotenzial an. Erst dann erfolgt die Verknüpfung von Prozess und Softwarefunktionalität. Spätestens jetzt ist ein neutraler Marktüberblick notwendig, um das passende System zu den aus Unternehmensstrategie und Prozessanalyse herausgearbeiteten Anforderungen zu finden, Entscheidungshilfen bieten die Aachener PPS-Tage, seit 13 Jahren eine Plattform für den Austausch und die Anwendung von praxisrelevantem Wissen und wirksamen Lösungen, die dem Wandel des ERP-Markts seit diesem Jahr mit einem neuen Veranstaltungskonzept Rechnung trägt. Die geschilderten Randbedingungen – Marktkonsolidierung, mehr qualifizierte Spezialanbieter, steigende Anforderungen an die Softwarefunktionalität – haben zu einer modularen Struktur der Veranstaltung mit noch stärkerem Praxisbezug und geringerer Informationsstreubreite geführt.

Fazit
Wachstum und Internationalisierung bringen auf der einen Seite organisatorische Umbrüche mit sich, auf der anderen Seite schreiten komplexe, firmenübergreifende Logistikprozesse unaufhaltsam voran. Dies zwingt Unternehmen, über ihre zukünftige IT-Strategie nachzudenken. Der ERP-Markt ist dagegen durch starke Konsolidierung bei gleichzeitig grundlegenden technologischen Neuerungen geprägt. Diese neue Situation erfordert das kritische Hinterfragen bestehender Strukturen sowie einen neutralen Blick auf den Markt.

14.Aachener PPS-Tage 2007

  • PPS.Spezial am 7. Februar 2007 MES-Systeme (Manufacturing Execution Systems)
    Tagesveranstaltung mit fünf Fachvorträgen inklusive Fachausstellung
  • PPS.Live im April 2007
    Marktsynchrone Produktion in der Praxis
    Vorstellung eines Best-practice-Beispiels (APS) in einem produzierenden Unternehmen
  • PPS-Praxis am 10. Oktober 2007
    Schlanke Produktionssysteme: Systematik kommt vor System – Vereinfachen kommt vor Beherrschen – Messbarer Erfolg kommt vor Technologie
  • PPS.Spezial am 7. November 2007 Produktkonfiguration
    Tagesveranstaltung mit fünf Fachvorträgen inkl. Fachausstellung

erschienen in IT & Production, Dezember 2006

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