Strategische Produktivität oder produktive Strategie - immer hübsch der Reihe nach!
Ingo Laqua
Produktivitätsprogramme können grundlegende Problemstellungen des Unternehmens bzw. der Unternehmensführung aufdecken. Sie ersetzen aber grundsätzlich keine Unternehmensstrategie, wie immer noch von vielen Managern (aus Bequemlichkeit ?) angenommen wird.
Kosten und Bestände runter, Produktivität und Margen hoch. Welches Unternehmen wird heute nicht von seinem Gesellschafterkreis oder von seiner Geschäftsführung dazu aufgefordert. Ergebnis solcher Anforderungen sind Produktivitätsprogramme oder -offensiven, die den betroffenen Betriebs- oder Abteilungsleitern in die Zielvereinbarung geschrieben werden und von denen man sich die Lösung aller Probleme verspricht. Vergessen wird dabei leider allzu häufig, daß dies interne Optimierungsbemühungen sind, die nicht grundsätzlich geeignet sind, den langfristigen Erfolg des Unternehmens sicherzustellen. Denn eine Antwort auf die Frage: Was muß man tun, um auch in Zukunft erfolgreich am Markt operieren zu können, wird hierdurch nicht gegeben. An dieser Stelle wird gerne vergessen, daß dies die originäre Aufgabe einer Geschäftsführung ist und eindeutig den Blick nach vorne verlangt.
Der Grund, warum diese Aufgaben häufig nicht wahrgenommen werden, ist, daß das Tagesgeschäft nicht als Selbstläufer organisiert ist und die Geschäftsführung durch alltägliche Problemstellungen den Blick für das Wesentliche verliert. Das „Wesentliche“ ist dabei die Beobachtung bzw. die erfolgreiche Vorhersage der Marktbedürfnisse. Um hier erfolgreich zu sein, bedarf es aber neben einem gewissen Maß an Erfahrung auch umfangreicher Analysen und Trendbeobachtungen, für die ein Teil der Manager keine Zeit hat oder sich einfach keine Zeit nimmt.
Dieses Phänomen trifft man in der Beratungspraxis leider immer noch allzu häufig an. Ist dann beispielsweise die Aufgabe, eine Produktivität zu messen und zu bewerten, stellt man über die klassischen Methoden wie bspw. einer ABC-Analyse, Wahrheiten fest, die entweder den berühmten „Aha-Effekt“ auslösen, oder erst gar nicht gehört werden wollen.
Nicht selten kommen nämlich dabei Tatsachen ans Licht, die dem gesamten Management trotz modernster DV entweder nicht transparent sind oder die bewußt zurückgehalten werden. Hierzu gehören dann u.a.:
- die (im Prinzip grundlose) Fokussierung auf Branchen oder Geschäftsbereiche mit geringen oder negativen Margen,
- Umsatz- statt Gewinnorientierung,
- eine Kostenstruktur, die bspw. alleine durch den Overhead gar nicht wettbewerbsfähig sein kann oder nur
- die permanente Einlastung komplexer Aufträge mit geringer Stückzahl und extrem hohem Bearbeitungsaufwand, ohne daß dies bewußt für Großkunden in Kauf genommen wird.
Das schonungslose Aufdecken solcher Punkte ist in der Regel für den ein oder anderen Manager zwar unangenehm, für den Fortbestand eines Unternehmens aber absolut unerläßlich. Um es positiv auszudrücken: Solche Ergebnisse sind ein willkommener Anlaß, um den Blick nach vorne zu richten und über Strategie nachzudenken.
Die Reihenfolge, die ein Unternehmen wirklich weiterbringt, muß also grundsätzlich andersherum sein. Zuerst wird eine Strategie festgelegt (mit welchen Produkten möchte ich welche Märkte bedienen?). Dies ist vom Tagesgeschäft losgelöst und Aufgabe der Geschäftsleitung, des Marketings und der Produktentwicklung.
Im zweiten Schritt (wenn man also davon überzeugt ist, das Richtige zu tun), kann man mit Hilfe eines Produktivitätsprogrammes die Effektivität (mit welchem Aufwand tue ich das Richtige?) des Handelns bewerten und beeinflussen. Diese Aufgabe muß dann von den operativen Einheiten wahrgenommen werden (Produktion, Auftragsabwicklung) und sollte sich nicht nur auf die Fertigung beziehen, sondern auch administrative und Service-Bereiche einbinden.
Aber auch die Umsetzung von Maß-nahmen zur Produktivitätssteigerung ist nichts, was von alleine passiert. Zielorientierte Termin- und Maßnahmenpläne, die die kontinuierliche Verbesserung anhand von intelligent gewählten Kennzahlen messen, sind in der Praxis effizienter als Goodwill-Bekundungen des mittleren Managements. Man kommt also um ein gewisses Maß an Professionalität nicht herum.
Es ist sicherlich befriedigend, nach einer Produktivitätsoffensive anhand seiner Kennzahlen festzustellen, daß bspw. die Durchlaufzeit für Teil A um 50% reduziert und gleichzeitig die Kosten um 20% gesenkt werden konnten. Voraussetzung ist aber, daß irgendjemand Teil A auch kaufen möchte ...
erschienen in CIMAktuell, Mai 2000