Was braucht man zum Wirtschaftlichen Zerspanen?
Dr. Götz Marczinski
Die passende Fertigungstechnik ist aus der am Kundennutzen ausgerichteten Produktionsstrategie herzuleiten. Die Kombination von Wertstromanalyse und OEE-Betrachtung verhilft zum ausgewogenen Ergebnis.
Produktivitätssteigerung ist ein direktes Maß für die Geschwindigkeit, mit der ein Unternehmen den technologischen Fortschritt aufnimmt. Doch worin liegt der technische Fortschritt?
Den Engpass finden
Der unreflektierte Blick auf die Bearbeitungstechnologien
ist dabei oft zu einfach. Wer
kennt ihn nicht, den Effekt jeder Betriebsbesichtigung:
Die interessierten Besucher
versammeln sich ehrfürchtig vor der neuesten
Errungenschaft des Produktionsleiters. Da
sieht man Hochgeschwindigkeitsspindeln,
mechatronische Werkzeuge oder die jüngste
Steuerungsgeneration manchmal gleich alles
zusammen.
Was man der Maschine nicht ansieht, ist ihr
Beitrag zum Unternehmensergebnis. Wie ist
der Einfluss auf die Durchlaufzeiten und die
Termintreue? Welchen administrativen Aufwand
gibt es in der Arbeitsvorbereitung und
NC-Planung, um die Technologie prozesssicher
zu beherrschen? Welche Kompromisse
in der Steuerungssystematik macht die Disposition,
um das Schmuckstück mit "Futter"
zu versorgen?
Indizien für Verschwendung gibt es viele.
So können Bestände vor den Maschinen auf
einen Engpass hindeuten. In vielen Fällen
offenbart ein Blick auf die Auftragspapiere,
dass einfach zu große Losgrößen gesetzt
sind, um rüstoptimal zu fahren. Schließlich
rechnet sich die neue Technologie doch erst
durch die Stückzahl. Bekommt aber jemand
"rote Ohren", wenn man nach der Investitionsrechnung
fragt?
Hauptzeit zum Engpass machen
Um sicher zu sein, dass eine neue Fertigungstechnologie
betriebswirtschaftlich Wirkung
zeigen wird, ist das Produktionsumfeld zu
prüfen:
- Ist die Prozesskette ausbalanciert, ist der Engpass eindeutig identifiziert?
- Lässt sich der Engpass mit Maßnahmen zur höheren Verfügbarkeit Gesamtanlageneffizienz (OEE) entspannen?
- Ist sichergestellt, dass das Personal nicht der Engpass ist? (Stichworte: Mehrmaschinenbedienung, Schichtmodell oder Pausenzeiten.)
- Sind die Ziele der Mitarbeiter widerspruchsfrei abgeglichen mit den Produktivitätszielen?
Ziele definieren
Gemäß dem Leitsatz "Wertschöpfung ist
die Wertschätzung des Kunden" ist die Produktionsleistung
aus der Kundenperspektive
zu definieren. Die Maximierung der Ausbringung
ist stets durch ein gegenläufiges
Bestandsziel zu relativieren.
Die Prozesskette ausbalancieren
Viel öfter, als man denkt, "passt" der Kundenbedarf
in die Fertigungsmöglichkeiten. Nur
in seltenen Fällen gibt es tatsächlich Engpässe,
die nur über Fremdvergabe oder Investitionen
zu entspannen sind.
Bei absoluten Engpässen unterschreitet das
Kapazitätsangebot dauerhaft die Nachfrage.
Bei situativen Engpässen übersteigt die
Nachfrage nur temporär das Angebot. In
jedem Fall spielt das Kapazitätsangebot die
entscheidende Rolle.
Engpässe entspannen
Um Engpässe zielgerichtet
zu entspannen, ist es
notwendig, die Systematik
der Produktivitätsfresser
zu kennen. Nur in ganz
wenigen Fällen findet sich
die Hauptzeit unter den
Top 5. Stattdessen bleibt
zu klären: Kommen nur
materialversorgte Aufträge
in die Fertigung?
In die Verfügbarkeitsprüfung
sind auch Betriebsmittel
(einschließlich
NC-Programme) einzubeziehen.
Ist ausreichend Personalkapazität
gerade für das Rüsten bereitgestellt? Funktioniert
die Betriebsmittellogistik (Versorgung
mit Vorrichtungen und Werkzeugen)?
Investitionsrichtlinien ableiten
Bei Investitionen denke man nicht zuerst an
die Hauptzeit. Denn hier droht der Teufelskreis
der Losgrößen: Eine neue Maschine
wird mit großen Stückzahlen gerechnet, um
die Investition zu rechtfertigen. Dann kommt
es zu Produktivitätsverlusten durch das
Rüsten, die eine Kapazitätserhöhung erforderlich
machen.
Wohlgemerkt: Wenn eine Investition technologisch
notwendig ist, dann muss investiert werden. Aber Vorsicht, wenn ansonsten die
Fertigungsstrategie untergraben wird. Beispielsweise
werden für sogenannte Rennerlinien
häufig Aufträge gesammelt, um auf
"produktive" Stückzahlen zu kommen. Der
Durchsatz durch die Fabrik wird dadurch
aber nicht gesteigert.
Zielvereinbarungen überprüfen
Was, wenn es trotzdem nicht funktioniert?
"Meine Ziele sagen mir aber etwas ganz
anderes", kommentierte das der Betriebsleiter
eines Kunden von CIMAachen. Die Produktionsleistung
stand ganz oben auf der Prioritätsliste,
bei jedem Rundgang des Chefs gab
es einen Rüffel für stehende Maschinen, der
Rüstaufwand war tägliches Thema.
Die Maschinenbediener schließlich fragten
sich: Was steht auf dem Lohnschein? Gut-
Stückzahl, egal ob ins Lager oder zum Kunden.
Solange die Ziele der Mitarbeiter nicht
mit den aus der Fertigungsstrategie abgeleiteten
Unternehmenszielen abgeglichen sind,
wird es zu Engpässen kommen.
Produktionssystem abstimmen
Bei einer auf Einzelaspekte oder -prozesse
fokussierten Betrachtung ohne Berücksichtigung
der gesamten Prozesskette und ihrer
Randbedingungen besteht die Gefahr, in
Technologien zu investieren, die den Durchsatz
des Unternehmens nicht erhöhen. Stattdessen
sollte mit der kombinierten Methode
aus Wertstromanalyse und OEE-Betrachtung
schrittweise überprüft werden, ob eine
Investition notwendig ist und wenn ja, wie sie
betriebswirtschaftlich zur Wirkung gebracht
werden kann.
erschienen in CIM Aktuell, 02/2007